Archiv der Kategorie: 2016

“Lehrerinnen Sprechen und wirken”

Gabriele Danninger

Wie LehrerInnen sprechen und wirken − Systemische Rhetorik als Inszenierung von Unterricht

 

LehrerInnen gestalten wirkungsvolle Kommunikationsschauplätze im Unterricht um effektive Lehr- und Lernprozesse anzuregen. Die rhetorische Praxis wird gezielt angelegt und in Erklärung, Erarbeitung und Anleitung umgesetzt. Mit rhetorischen Mitteln wird das Klassenzimmer zur Bühne und in der Inszenierung der eigenen Person rufen die Akteurinnen und Akteure im interaktiven Raum eine konkrete Wirkung hervor. Dabei ist das Vorgehen ziel- und auftragsorientiert ausgerichtet. Unterrichtsprinzipien werden eingehalten und Kompetenzorientierung wird angestrebt, um die vorgegebenen Unterrichtsziele der Curricula miteinander zu erreichen. Die Haltung der Lehrenden gegenüber SchülerInnen bestimmt das rhetorische bzw. kommunikative Verhalten und die systemische Sichtweise im Unterricht erweitert den Fokus auf Zusammenhänge und Wechselwirkungen. In dieser Betrachtung soll vor allem die systemische Rhetorik fokussiert und insbesondere die »systemische Haltung«, eine spezielle Inszenierung in der Interaktion, diskutiert werden. “Lehrerinnen Sprechen und wirken” weiterlesen

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Der rhetorische Körper

Nicole Haitzinger

Der rhetorische Körper: Zur Inszenierung von tragischen Figuren in den szenischen Künsten im frühen 18. Jahrhundert*

 

In der Modellierung von tragischen Figuren im 18. Jahrhundert manifestiert sich die Trias Maschi­nenglaube, Antikensehnsucht und Seelenformung unmittelbar körperlich. Im Theater und im Tanz wird die Kunstfigur Mensch in dreifacher Weise perspektiviert und konstruiert: als Maschine, als Skulptur wie als Sinneskörper.[1] Gleichzeitig bilden diese drei Aspekte eine vorgestellte Einheit in der Modellierung des Kunstkörpers im 18. Jahrhundert. Es geht in einem übergeordneten Sinn um einen großangelegten Versuch der Herstellung von Illusion über Körperlichkeit. In der Konzeption von tragischen Posen zeigt sich die Vorstellung eines skulpturalen Maschinenkörpers, während zugleich in der von tragischen Gesten das geformte Seelische durchscheint. Der Körper als rhetorische Figur (eloquentia corporis) durchdringt den Kunstdiskurs, doch konkrete Techniken zur Pathosdarstellung im 18. Jahrhundert gelten heute als verschüttetes Wissen. Ein Grund dafür ist vielleicht das spezifische Verhältnis von Künstlichkeit und Natürlichkeit, das sich im 18. Jahrhundert herausbilden wird:

Once the techniques were literally incorporated due to all the fashioning and cultivating, they could look ›natural‹ and ›inbred‹. It all centered on ›grace‹ or, to be more precise and follow Castiglione, on sprezzatura, a kind of effortlessness in which no exertion or intentionality was ever to shine through.[2]

Der Diskurs über die »Natürlich­keit« der Pose oder vielleicht besser noch über ihr natürliches Erscheinungsbild auf der Bühne und ihre starke Poetisierung und Metaphorisierung ist so dominant, dass Fragen zur Technik, zur Aus- und Aufführung in den Schriften vernachlässigt werden. Der rhetorische Körper weiterlesen

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Gedanken zur Performance SaTüR 2016

Anne Pretzsch

Gedanken zur Performance SaTüR 2016

 

»Auch wenn er mit Autorität sagt, was ist, auch wenn er sich also damit begnügt, das Sein auszusprechen, bewirkt der auctor eine Veränderung im Sein: Dadurch, dass er die Dinge mit Autorität ausspricht, öffentlich und offiziell, entreißt er sie der Willkür, schreibt sie fest, heiligt, bestätigt sie, lässt sie existieren als etwas, das zu existieren wert, der Natur der Dinge gemäß, ›natürlich‹ ist.« [1]

Die Gliederung einer sozialen Welt durchzusetzen, eine Wahrheit zu sagen, die Gesetzeskraft hat, ist die Folge einer Macht, die auf Anerkennung gründet. Sie verleiht dem Gesagten, in ihren Grenzen Bedeutung. Diesem Gesagten wende ich mich in meiner künstlerischen Arbeit zu. Eine Wahrheit mit Gesetzeskraft oder Wirksamkeit evoziert Anerkennung und diese bedeutet Macht. Aufgrund dieser gibt es den Freiraum, mehr anerkannte Wahrheiten verlauten zu lassen und gleichsam sicher gehen zu können, dass sie gehört werden. Gedanken zur Performance SaTüR 2016 weiterlesen

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Inwendig – Auswendig: Aspekte der schauspielerischen Geste

Lisa Stumpfögger

Inwendig – Auswendig

Aspekte der schauspielerischen Geste

 

Zusammenfassung

Auf der Bühne des Theaters ist die Geste das ›connecting link‹ zwischen der äußeren, sichtbaren Bühnenhandlung und der komplexen  inneren Handlung. Richard Wagner bezeichnet die »dramatische Aktion« der Sänger als eine »idealische Form des Tanzes«.[1]

Dieses Diktum gilt für jede Schauspielkunst, denn die Sprache des Körpers vereint zwei Aspekte. Die Gesten der Schauspieler sind nicht nur Bild, sprechend, meinend, bedeutend, repräsentativ, sondern zugleich reine Bewegung, Präsenz, bedeutungsbefreites Spiel und in dieser Hinsicht Tanz. Ausgehend von Heinrich von Kleists Erzählung »Über das Marionettentheater« [2] wird gezeigt, wie der Schauspieler oder der Sänger als Tänzer sein Wissen und Bild vom Körper in das sichtbare und lesbare Bild seiner Gesten übersetzt. Inwendig – Auswendig: Aspekte der schauspielerischen Geste weiterlesen

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Der maieutische Dialog als rhetorische Inszenierung

Walther Kindt

Der maieutische Dialog als rhetorische Inszenierung. Eine Analyse im Rahmen der Linguistischen Rhetorik

 

1. Zielsetzung und Kontext

Im vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse der linguistischen und logischen Untersuchungs eines rhetorisch sehr interessanten maieutischen Teildialogs aus Platons fiktivem Gespräch  ›Menon‹ [1] (im Weiteren zitiert als ME) dargestellt. Auf diesen Teildialog (ME 39ff.) stieß ich, als ich im letzten Jahr beim Schreiben eines Handbuchartikels über Gesprächsrhetorik [2] beschloss, zumindest einen der berühmten sokratischen Dialoge auf seine spezifischen Strategen hin zu analysieren. Für diesen Zweck schien mir der Teildialog aufgrund der Beschreibung von Eckstein besonders geeignet zu sein.[3] Im ›Menon‹ diskutiert Sokrates mit einem jungen thessalischen Adligen namens Menon darüber, was man unter dem Begriff »Tugend« zu verstehen hat und ob Tugend lehrbar ist. In diesem Zusammenhang wendet Menon gegen den stets sein (angebliches) Nichtwissen betonenden Sokrates ein: »Und auf welche Weise wirst du […] die Untersuchung anstellen über einen Gegenstand, von dem du überhaupt nicht weißt, wer er ist.«(ME 33f.). Sokrates ordnet diesen Einwand als eine von den Eristikern aufgestellte Behauptung ein: »[…] dass es dem Menschen nicht möglich ist zu forschen […] nach dem, was er nicht weiß«(ME 35). Auf Rückfrage von Menon hin, weist Sokrates diese Behauptung als falsch zurück und beruft sich dabei auf die von bestimmten Priestern/innen und Dichtern vertretene sog. Anamneselehre, die in seiner Formulierung besagt:

ME 37: Da also die Seele unsterblich und oft wiederentstanden ist und […] alle Dinge Dinge geschaut hat, gibt es nichts, was ihr unbekannt wäre. Mithin ist es kein Wunder, wenn sie imstande ist, hinsichtlich der Tugend sowie anderer Dinge sich wiederzuerinnern an das, was sie ehedem ja doch wusste. […] so hindert nichts, dass man […] auch alles andere wieder auffindet, wenn man nur den Mut nicht verliert und die Mühe des Forschens nicht scheut. Denn das Suchen und Lernen ist eben durchweg Wiedererinnerung. Der maieutische Dialog als rhetorische Inszenierung weiterlesen

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Inszenierung als theoretisches Problem

Joachim Knape

›Inszenierung‹ als rhetoriktheoretisches Problem

 

Im folgenden Beitrag geht es um die Frage, inwieweit der Begriff ›Inszenierung‹ einen Platz im Theoriegebäude der Rhetorik einnehmen kann. Um diese Frage zu klären und auch die Frage nach dem systematischen Status eines theoretisch in der Rhetoriktheorie zu integrierenden Fachbegriffs ›Inszenierung‹, gehe ich im Folgenden in drei Schritten vor. Ich wende mich zunächst den Verwendungsgeschichten des Wortes ›Inszenierung‹ zu, um zu sehen, welche explikatorische Leistung man dabei erkennen kann bzw. um was es beim Inszenieren überhaupt geht. Dann wollen wir sehen, was die klassische Rhetoriktheorie für Anschlussstellen bietet. Und abschließend diskutiere ich die Frage, ob und wie wir den Inszenierungsansatz heute in der modernen Rhetoriktheorie unterbringen können. Ausgangspunkt ist dabei, dass wir es mit einer Kategorie zu tun haben, welche die klassische Rhetorik nicht vorsah und die wir für die moderne Rhetorik neu austheoretisieren müssen. Das soll im Folgenden geschehen. Dabei wird der Begriff Inszenierung anders und grundsätzlicher konzipiert, nämlich als Zweitheit im rhetorischen Produktions- und Performanzprozess. Inszenierung als theoretisches Problem weiterlesen

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Rhetorik im Widerstand

Tomma Galonska

Rhetorik im Widerstand –
Oder: Freimütiges Nachdenken über das Inszenieren von Sprache in Kriegsstücken

 

Was Sie hier lesen, ist die Verschriftlichung einer Lecture Performance, die bei den Salzburg-Tübinger Rhetorikgesprächen 2016 gezeigt wurde. Hinterfragt wird die Darstellung von Gewalt im Theater. In der Live-Situation wurden dazu drei Experimente durchgeführt. Diese Anwendungsbeispiele sind hier als eine Kombination aus Arbeitsbuch und Szenenbeschreibung wiedergegeben, so dass der Leser und die Leserin sich in etwa ein Bild von dem Bühnengeschehen machen können. Rhetorik im Widerstand weiterlesen

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Von der Absenz des genus deliberativum im Parlament

 Karlheinz Töchterle

Von der Absenz des genus deliberativum im Parlament

 

In der Theorie gilt von der Antike bis heute die politische Rede, speziell innerhalb nicht autoritärer Verfassungen, als der genuine Ort argumentativer Auseinandersetzung. Für die Antike mag vorerst der schlichte etymologische Beleg genügen, dass die Lateiner das griechische génos politikón (γένος πολιτικόν) mit genus deliberativum übersetzten, weil man hier eben Argumente gegeneinander abzuwägen (lat. deliberare) pflegt. Für die Moderne verweise ich auf das Standardwerk von Fairclough/Fairclough 2012, wo diese Redegattung innerhalb der politischen Auseinandersetzung ebenfalls als „geradezu prototypisches … Genre“ [1] angesehen wird.

Die politische Praxis, wie ich sie in meinen Funktionen als österreichischer Bundesminister für Wissenschaft und Forschung (von April 2011 bis Dezember 2013) sowie als Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat im Anschluss daran erlebte und erlebe, zeigt ein völlig anderes Bild. Das deliberative Genus spielt darin, wenn überhaupt, nur in einer völlig erstarrten und  sinnentleerten Form eine Rolle. Desillusionierte mögen das immer schon gewusst haben, für mich ist diese Erkenntnis in ihrer Drastik neu und schmerzlich. Deswegen habe ich die Einladung, meine diesbezüglichen Erfahrungen vor dem Hintergrund meiner Kenntnisse zur antiken rhetorischen Theorie und Praxis einem Fachpublikum vorzutragen, gerne angenommen und bedanke mich bei meinen Tübinger Kollegen ganz herzlich, dass ich das an ihrem so renommierten Institut und vor einem so hochrangigen Publikum wie dem der International Society for the History of Rhetoric tun darf. Von der Absenz des genus deliberativum im Parlament weiterlesen

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Wissenschaft als soziales Phänomen

 

Julia Siebert

Wissenschaft als soziales Phänomen

– eine rhetorische Analyse

 

Abstract

Die traditionelle Auffassung einer rein rationalen Wissenschaft offenbart immer wieder große Defizite und gerät schnell in Erklärungsnot, wenn zum Beispiel ein Nobelpreis für etwas vergeben wird, das über Jahre hinweg als irrationaler Unsinn abgetan wurde. Quasikristalle? Es gibt sie also doch.

Ereignisse wie diese stärken im Gegenzug der von Thomas S. Kuhn vertretenen wissenschaftstheoretischen Position den Rücken. Dieser betrachtet die Erkenntnisse und Entwicklungen in der Wissenschaft als ein Produkt der Gruppenstrukturen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und präsentiert damit eine Theorie, die der Tatsache Rechnung trägt, dass jede Art von Wissenschaft immer von Menschen betrieben wird. Menschen, die nicht wie Maschinen funktionieren, sondern an vielschichtige psychische Faktoren gebunden sind. Statt logischer Beweise und rationaler Argumente stehen hier Dynamiken innerhalb der Gruppe, persönliches Interesse und strategisch taktierende Wissenschaftler mit festen Überzeugungen im Mittelpunkt. Kuhn entwirft ein sozial fundiertes Bild der Wissenschaftsentwicklung, das eine erstaunliche Nähe zur Rhetorik und ihren Prinzipien offenbart. Tatsächlich scheint die Rhetorik seine Theorie nicht nur zu untermauern und zu bestätigen, sondern sogar ein wissenschaftliches Fundament für diese relativistische Position zu liefern.

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Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen

Wilfried Stroh

Die Rhetorik des Dr. Faust und ihre antiken Vorbilder

 

Das berühmteste deutsche Drama, die Tragödie des Hochschullehrers Faust, enthält fast gleich zu Beginn im Gespräch des Titelhelden mit seinem Assistenten Wagner einen Disput über Rhetorik, der zum Eindrucksvollsten gehört, was je über diese umstrittene Disziplin gesagt worden ist. Ein Kernsatz davon lautet: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen“, ein anderer: „Es trägt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor“.

Lange Zeit schien es in der Forschung fast selbstverständlich, dass sich Goethe hier (schon im Urfaust)im Sinne des sogenannten Sturm und Drang von dem zu Ende gehenden Rhetorikzeitalter (verkörpert etwa im perückenschweren Gottsched [1] ) distanziere. Diese Ansicht gilt heute als weithin überholt, spätestens seit der gelehrten Dissertation von Olaf Kramer: Goethe und die Rhetorik (2010). Gegen die, wie er sagt, immer noch verbreitete Ansicht, Goethe sei „einer der großen Kritiker der Rhetorik“, gibt Kramer (zum Teil im Anschluss an Dietmar Till) eine neue, auf einem „anthropologischen“ Rhetorikkonzept basierende Interpretation der Wagnerszene. Vor allem aber zeigt er zunächst einmal, unter Benutzung des von Ernst Grumach (Goethe und die Antike, 1949 [2] ) gesammelten Materials, wie intensiv sich Goethe zeitlebens mit Rhetorik, besonders antiker Rhetorik befasst hat.[3] Als Leipziger Student hatte er bei Johann August Ernesti, dem früheren Schulvorgesetzten Johann Sebastian Bachs, ein „Collegium“ über Ciceros De oratore gehört;[4] von früher Jugend an kannte er nach eigenem Bekunden die Schriften von „Aristoteles, Cicero, Quinctilian [sic], Longin“,[5] noch später studierte er immer wieder gerne, wie er sagt, zwei Lexika der antiken Rhetorik[6] und sprach sogar einmal von Quintilian als „unserm alten Meister“.[7]

So ist es wohl angebracht, wenn wir im Lichte der antiken Rhetorik, vor allem Ciceros und Quintilians, noch einmal prüfen, ob das, was Faust in der berühmten Wagnerszene gegen die Rhetorik vorzubringen scheint, in Goethes Zeit so revolutionär war, wie man früher meinte,[8] oder ob hier, wie jetzt behauptet, nur bestimmte Kerngedanken der klassischen Rhetorik mit einer gewissen Einseitigkeit ins Licht gesetzt wurden. Doch wollen wir uns nicht ganz auf die genannten Hauptpunkte beschränken, vielmehr das Ganze der köstlichen Szene einmal aus der Sicht des Klassischen Philologen kommentieren, durchaus im Sinne von Goethe selbst, der mit ironischem Blick auf uns Philologen, aber auch auf deren Verächter, sagte:[9]

Denn bei den alten lieben Todten
Braucht man Erklärung, will man Noten;
Die Neuen glaubt man blank zu verstehn,
Doch ohne Dolmetsch wird´s auch nicht gehn.

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