Jürgen Seiwaldstätter und Christine Zehentmayr
Barack Obama: "Yes, we can!"
Einleitung
Dieser Artikel beinhaltet die Analyse der Wahlkampfrede „Yes, we can!“ von Senator Barack Obama, gehalten am 8. Jänner 2008 in New Hampshire, Amerika. Die Ergebnisse werden im folgenden Artikel im Hinblick auf die aristotelischen Elemente Ethos, Logos und Pathos und deren Zusammenspiel zusammengefasst.
Redegattung
Bei dieser Rede handelt es sich um eine Beratungsrede, welche zu Beginn auch einige Elemente einer Lobrede enthält, wie zum Beispiel den Verweis auf die Gegenwart und die Danksagungen an die Wähler. Jedoch wechselt der Fokus auf die Zukunft und Möglichkeiten.
Die Person – Barack Hussein Obama
Barack H. Obama jr. wurde 1961 in Hawaii als Kind von Stanley Ann Dunham und Barack Obama sen. geboren. Nachdem sich die Eltern scheiden ließen, zog die Mutter mit ihrem Sohn nach Indonesien. Hier verbrachte Obama seine frühe Jugend. 1971 kehrte er in die USA zurück, wo er von seiner Großmutter aufgezogen wurde und die private Punahou School besuchte. 1983 schloss er an der Columbia University in New York City mit einem Bachelor in Politikwissenschaften ab, nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft inskribierte er sich an der Harvard Law School und beendete diese mit „magna cum laude“.
Im Alter von 31 Jahren wurde er erstmals politisch aktiv, um die Wählerkampagne von Bill Clinton 1992 in der afroamerikanischen Gemeinschaft zu unterstützen. Im Jänner 2005 trat Barack Obama das Amt des Senators im US-Staates Illinois an. 2 Jahre später verkündete er in Springfield (Illinois) seine Präsidentschaftskandidatur und im Sommer 2008 wurde er, nachdem er sich gegen Hillary Clinton durchgesetzt hatte, von der Demokratischen Partei als offizieller Präsidentschaftskandidat präsentiert.
Ethos
Ethos behandelt die Selbstpräsentation des Redners; Hauptziel ist es, dass der Redner Glaubwürdigkeit vermittelt. Barack Obama verkörpert bei dieser Rede einen enthusiastischen Motivator. Dies äußert sich in mehrfacher Weise. Bevor die eigentliche Rede beginnt, versucht Sen. Obama schon, durch Blickkontakt sein Publikum zu erreichen: Blicke links, rechts, Umdrehen, zusätzliches Applaudieren und unzählige Danksagungen an das Publikum. Zu Beginn zeigt er mit dem erhobenen Zeigefinger in das Publikum und stellt fest: „I am still fired up and ready to go!”. Trotz der erlittenen Niederlage genießt er sichtlich das Bad in der Menge, lächelt und hält durchgehend Blickkontakt mit dem Publikum, zudem gibt er staatsmännisch und, ohne sich dabei zu schämen, seine Wahlniederlage zu und gratuliert Senatorin Hillary Clinton. Durch seine Mimik und das Umherblicken im Saal signalisiert er Selbstbewusstsein. Seinem Auftreten ist also die Niederlage nicht anzumerken.
Er steht, passend für den Anlass, im Anzug auf der Bühne. Die Bühne ist jedoch nicht leer, sondern hinter Obama stehen seine Anhänger mit Schildern. Diese tragen zwar Schilder und schließen sich manchmal den Sprechchören an, treten jedoch in normaler Straßenkleidung auf. Außerdem wirken sie wie „normale“ Bürger. Dadurch macht das Bühne-Setting einen egalitären Eindruck, der durch die „Normalität“ der Anhänger unterstützt wird. Dies wird auch inhaltlich immer wieder angesprochen, denn Obama führt an, dass er die verschiedensten Berufsgruppen, politischen Gruppen, etc. zusammenbringen will bzw. mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze vorliegen.
Obama spricht meist mit einer normalen Geschwindigkeit, macht jedoch viele kurze Pausen, wodurch die Rede eindringlicher wird. Die Stimmung in der Halle wird durch die kurzen rhetorischen Pausen noch angespannter. Bei den für ihn wichtigen Punkten beugt er sich über das Mikrofon, um die Lautstärke seiner Aussagen deutlich zu erhöhen.
Mimik und Gestik Obamas wirken sparsam eingesetzt und gezielt, ähnlich wie bei der Stimme, wo gewisse Punkte dadurch unterstrichen werden, dass die Lautstärke erhöht wird; auch bekräftigt Obama einige Aussagen mit einfachen Gesten. Seine Mimik wechselt zwischen Lächeln, entspanntem Blick und ernstem Gesichtsausdruck und wirkt dem Inhalt angepasst.
Pathos
Pathos beschäftigt sich mit der emotionalen Beeinflussung des Publikums. Zu Beginn der Rede ist noch ausklingende Musik zu hören, ebenso werden die Anhänger vermutlich durch Sprechchöre, die auch während der Rede wiederkehren, zusätzlich „angeheizt“. Aus diesem Grund kann Obama bereits auf einer guten Stimmung „aufbauen“. Obama erzeugt und verstärkt sowohl durch seine Inhalte als auch durch rhetorische Figuren verschiedene Emotionen im Publikum.
Auf inhaltlicher Seite greift Obama immer wieder Werte oder Themen auf, die die Menschen emotional betreffen. Obama weist die Zuhörer darauf hin, dass in Amerika etwas passiert:“[…] something happening in America […]”. Als brillanter Rhetoriker bindet er das Publikum zusätzlich in seine Rede ein:„[…] your voices and your votes […]“. Dabei erzeugt Obama ein Gemeinschaftsgefühl, welches auf das egalitäre Setting (siehe Ethos) aufbaut. Diese Veränderung greift Obama immer wieder auf; er geht dann dazu über, dass die Menschen bereit sind, das Land in eine neue Richtung zu bringen. Lange bleibt unklar, worauf er genau hinaus will, er erweitert die Gruppe der Betroffenen immer mehr, von Regionen über ethnische Gruppen bis hin zu politischen Gruppen („Democrats, independents and Republicans[sic!]“). Dann erst offenbart er, was das allen gemeinsame Element ist: „who are tired of the division and distraction that has clouded Washington“. Er spricht zwar das Wort „Korruption“ nicht aus, doch „to challenge the money and influence“ ist eine klare Anspielung. Schließlich geht er von der allgemeinen Kritik zu den Zielen über, die hauptsächlich auf soziale Gerechtigkeit abzielen: Gesundheitsversorgung, Steuererleichterung für die Mittelklasse, Ausbau der Schulen, bessere Entlohnung der Lehrer, „weg vom Öl“ und Umweltschutz. Dabei richtet er sich gegen die großen Unternehmen und Industrien. Er spricht also die Werte des „kleinen Mannes“ und der Mittelklasse an und gibt gleichzeitig ein Feindbild, welches er jedoch nicht genauer ausführt. Diese Auflistung wird durch den Einsatz von rhetorischen Wiederholungsfiguren verstärkt, ebenso sind die Aussagen in kompakten Sätze ähnlicher Länge verpackt. Nachdem die Stimmung durch diese Ausführungen entsprechend angespannt ist, bringt Obama die Menge mit der Aussage: „And when I am president of the United States, we will end this war in Iraq and bring out troops home.“ zum Jubeln. Die Menge bricht schon beim ersten Teil des Satzes in Jubel aus, steht dieser Umstand doch im Gegensatz zur gerade erfahrenen Niederlage. Obama hat also die Thematik steigernd angeordnet, zu Beginn spricht er davon, was möglich ist und bleibt ungenau, geht dabei hauptsächlich auf die Gemeinsamkeiten ein; dann beginnt er mit Kritik und schließlich den Forderungen, die konkreter werden und beispielhaft ausgeführt sind. Schließlich geht er zu den emotionalsten Themen über, zuerst das Öl, welches gefolgt wird von seiner möglichen Präsidentschaft und dem daraus folgendem Rückzug der Truppen aus dem Irak. Nun geht Obama genauer auf den Irak-Krieg, Terrorismus, Amerikas „moral standing in the world“ und den 11. September ein. Dies ist der Höhepunkt der Rede. Danach geht Obama wieder mehr auf das Wir-Gefühl und seine Anhänger ein. Er greift das Thema der „falschen Hoffnung“ („false hope“) auf, welches ihm vorgeworfen wurde, woraufhin er auf die Geschichte und Werte Amerikas (Land der unbegrenzten Möglichkeiten) verweist: „But in the unlikely story that is America, there has never been anything false about hope.“ Die Menge reagiert wiederum mit Applaus und Obama setzt zu einem emotionalem Ende an, wo er auf schwierige Punkte in der amerikanischen Geschichte und Werte verweist, die die Amerikaner mit „Yes, we can“ beantwortet haben. Er verweist dabei auf die Verfassung, Sklaverei, Immigranten, Pioniere, Gewerkschaften, Frauenrechtlerinnen, Kennedy und Martin Luther King. Und schließlich die Grundwerte („opportunity and prosperity“) und das Selbstverständnis Amerikas als Weltmacht: „Yes, we can, to opportunity and prosperity. Yes, we can heal this nation. Yes, we can repair this world[sic!]. Yes, we can.“
Die Wahlkampfrede ist ein gutes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von rhetorischen Figuren. Durch deren Verwendung erzielt Obama emotionale Effekte im Publikum, die sich durch Rufe und andauernden Applaus äußern. Die rhetorischen Figuren sind über den ganzen Text verteilt und der Redner setzt verschiedene Varianten davon ein. Dominant sind Wortwiederholungen, welche eindringlich und dramatisierend wirken und dabei gewisse Inhalte in den Vordergrund rücken.
Anaphern, Hervorhebungen von Wörtern oder Wortgruppen am Satzanfang sind in dieser Rede vorherrschend – zum Beispiel „There is something happening …“, „It was…“. Dadurch erfährt das Gesagte eine Steigerung der Bedeutungs und hat eine einhämmernde Wirkung. Ebenso setzt Obama viele Antithesen ein, welche die Gegenüberstellung von Gegensätzen darstellt: „rich or poor“, „black or white“, „Latino or Asian“. Antithesen schaffen zum einen eine klare Abgrenzung, zum anderen erhöhen sie die Spannung durch das Gegenüberstellen zweier entgegensetzter Pole.
Die Rede bringt das Publikum in verschiedene emotionale Stimmungen, zuerst wird die Gemeinschaft beschworen, darauf folgt eine Mischung aus Hoffnung und Entrüstung, welche aufgegriffen wird und zu einer motivierenden Aufbruchsstimmung führt. Dies geschieht einerseits durch die oben genannten rhetorischen Figuren, andererseits auch durch das bewusste Heben und Senken der Stimmlage und den Einsatz von starken Emotionswörtern, wie „I love you back“, „hope“, „There is something happening in America“, „Americans can change it“, „Yes, we can“. Obama spricht die Menschen direkt an „You can be the new majority who can lead this nation“, er vermittelt ihnen den Glauben, aktiv an der Zukunft etwas ändern zu können und stellt sich selber auf eine Ebene mit dem Publikum: „We can do this“. Auffallend ist, dass er an populäre Werte wie Loyalität oder Zusammenhalt appelliert, welche vom Empfänger getragen werden und bei ruhigeren/einleitenden Parts eingesetzt werden. Ebenso schneidet er bewusst heikle und aufwühlende Themen an. Kein Amerikaner bleibt bei Themen wie Irak-Krieg, Terror oder Klimawandel ruhig.
Logos
Beim Logos werden sowohl der Redeinhalt wie auch die Strukturierung und vor allem die Argumentation betrachtet. Barack Obamas Rede enthält viele Referenzen und Fakten, welche er als Basis für seine Argumente einsetzt. Er verweist auf gerade stattfindende und erlebte Ereignisse, wie „men and women […] come out in the snows in January to wait in lines …“, die für die Zuseher direkt wahrnehmbar sind oder waren. Die Aussagen wirken durchgehend plausibel, sofern sie nicht seine direkten Wahlziele betreffen.
Er betont, den Krieg im Irak zu beenden und die Truppen abzuziehen, jedoch erwähnt er nicht, zu welchem Zeitpunkt er dies vorhat. Was ist aber mit den Truppen in Afghanistan zur Bekämpfung der Al-Qaida? Hier verspricht er, „den Job fertig zu machen“. Wie, lässt er jedoch offen. Auch spricht er davon, Amerika und die Welt gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts zu vereinigen, wiederum wird in keinem Satz erwähnt, wie dies geschehen soll oder was er genau bewerkstelligen wird. Doch ist es nicht das Ziel der Rede, sein Wahlprogramm darzustellen und zusätzlich wird sie vor seinen eigenen Anhängern gehalten, weshalb der Inhalt durchaus ausreichend für die Situation und das Publikum ist. Die Rede ist logisch, in sich geschlossen aufgebaut und dank des Verzichts auf Fachausdrücke für jeden klar und verständlich.
Die Kernaussagen werden offen und klar ausgedrückt – „There is no problem, we cannot solve …“. Alles ist machbar in Amerika, „change is happening“, dadurch, dass Menschen zur Wahl gehen und Obama als Präsident den Wandel positiv beeinflussen kann.
Die Struktur der Rede ist für uns klar erkennbar:
- Einleitung 00:00 – 02:00
- Hauptteil
- Part I: „There is something happening […] “02:10 – 03:36
Einstimmen auf das gemeinsame “Wir”
- Part I: „There is something happening […] “02:10 – 03:36
- Part II: „You, all of you, you can be the new majority […] “04:02 – 05:25
Ihr (the majority) macht das möglich
- Part III: „We can […]“ 05:37 – 06:42
Beginnend mit „wir können“; Höhepunkt: Ich bin – Überleitung zu: wir wollen
- Part IV: „[…] ask what you can do for change […]" 08:08 – 09:54
Zugehörigkeit zu einer Gruppe, der Kampf wird lange – Hoffnung
-
Abschluss 10:10 – 13:09
-
Part V: „Yes, we can“Zeigt, was alles geschafft wurde, weil Menschen an sich glaubten – Gemeinsam kann man das ebenso schaffen.
Die Argumentation der Rede basiert hauptsächlich auf natürlichen Beweisen, Obama führt wenige kunstgemäße Beweise durch. Im Folgenden betrachten wir einige der kunstgemäßen Beweise. Obama führt an, dass die Menschen mit ihrem Verhalten klar machen, dass „etwas passiert“ („there is something happening“). Die Prämisse ist, dass die Menschen ihre Stimme erheben und wählen, deshalb „passiert etwas“, folgend dem Argumentationsmuster von Ursache und Wirkung. Nachdem Obama nicht näher ausführt, was passiert, ist die Aussage sogar tautologisch.
Obama führt mehrmals an, dass alle Kandidaten gute Ziele und Ideen verfolgen, aus diesem Grund muss er sich von ihnen in anderer Form distanzieren. Er führt an, dass „our campaign has always been different“ mit folgender Argumentation:
- Was er als Präsident tun wird (Indirekt: „not just about what I will do as president“)
- Was die Bürger des Staates tun können, um Amerika zu ändern („It is also about what you, the people who love this country, the citizens of the United States of America, can do to change it.“)
Allerdings ist dies nicht schlüssig, weil dies weder von seiner Kampagne, noch von ihm abhängig ist. Außer, das „you“ bezöge sich nur auf seine Anhänger, dies wird jedoch durch die nähere Spezifizierung (people, citizens) ausgeschlossen. Geht man vom zweiten Fall aus, so ist die Begründung der Differenzierung folgende: Obama und die potentielle Beteiligung seiner Anhänger bei der Umgestaltung Amerikas machen die Kampagne Obamas andersartig als die der anderen Kandidaten.
Lerneffekt/Anmerkungen:
Diese Rede ist ein Musterbeispiel: Der Redner kann sein Publikum begeistern und schafft es durch den Einsatz von rhetorischen Figuren, Gestik, Mimik und Stimme die Stimmung des Saales in jede ihm beliebige Richtung zu lenken.
Das ist uns besonders aufgefallen:
- Die Wichtigkeit eines durchgehenden roten Fadens, u. a. auch durch stimmiges Zusammenspiel von Ethos, Logos und Pathos
- Die Möglichkeit zur Hervorhebung von bestimmten Inhalten durch den Einsatz verschiedenster rhetorischer Figuren
- Eine Rede bekommt durch die Verwendung von Fakten eine gute Basis und wirkt so glaubwürdiger
- Stimmvariation und die richtige Kombination von Gestik und Mimik haben eine große Relevanz.
Im Endeffekt ist es auch für „normale Menschen“ und Studierende leicht möglich, eine gut gelungene und aussagekräftige Rede zu halten. Man muss sich nur an bestimmten Regeln und Beispielen orientieren und üben, üben, üben. Also: Yes, we can …
Die Rede kann man unter folgender Adresse finden:
Quellen:
FAZ: Die politische Theologie des Barack Obama: Online unter:
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E96DD2AE0DE184CFCB83BC1EB89BF8EE6~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(Stand: 28.06.08)
Freitag26: Im Sog des „Wir“: Online unter:
http://www.freitag.de/2008/09/08090102.php (Stand: 28.06.08)
Süddeutsche Allgemeine: Obama in Versen, Hillary in Prosa: Online unter:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/84/153689/ (Stand: 28.06.08)
Youtube: Jeremiah Wright/Trinity United Church of Christ: Online unter:
http://www.youtube.com/watch?v=hAYe7MT5BxM&feature=related (Stand: 28.06.08)