Thomas Zinsmaier
Stilbruch – rhetorisch
I. Ein erfolgreiches ästhetisches Prinzip
Seit den Unabhängigkeitserklärungen von Literatur und Kunst hat der Stilbruch aufgehört, grundsätzlich als ein Verstoß oder Fehler zu gelten. Für die Gattungen, die von der Komik leben, wie Satire und Parodie, ist das Spiel mit stilistischen Kontrasten ohnehin seit jeher konstitutiv. Konnten die Künstler und Schriftsteller der klassischen Moderne mit dem bewussten Verzicht auf formästhetische Einheit, mit Montagen und Collagen noch provozieren und verunsichern und sich dabei als Avantgarde verstehen [1], so hat sich der Stilbruch in den letzten Jahrzehnten als populäres Kompositionsprinzip etabliert, das längst nicht mehr als ästhetische Revolte, sondern allenfalls als interessant und unterhaltsam empfunden wird. In der Mode spricht man von einem „gekonnten“ oder „tollen Stilbruch“[2], für Cafés, Kneipen, Tattoo-Studios und Rockbands ist ‘Stilbruch’ ein beliebter Name geworden, Kulturzeitschriften [3] und -magazine führen ihn im Titel. Die Produzenten des Kulturmagazins ‘Stilbruch’ von Radio Berlin-Brandenburg stellen sich vor als „stilvoll gebrochene Menschen. Störrische Alt-68er, energische 89er. Macher mit Falten und Flausen. Nix passt zusammen. Warum auch? Stilbruch allerorten und Kultur ist dasjenige, was Sie daraus machen.“[4]
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