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Produktionsstadien der Rede

Es zeichnet die Rhetorik aus, dass sie eine Theorie entwickelt hat, wie das rhetorische Produkt, nämlich die Rede, herzustellen ist. Der Orator als Produzent und Performant der Rede wird in einen Prozess eingeordnet, in welchem er jeden einzelnen Arbeitsschritt auf das spätere Produkt hin, die zu performierende Rede, optimiert. Konzeptionell kann man unterschiedliche Schwerpunkte in der rhetorischen Theoriebildung und einer davon geprägten Praxis unterscheiden, indem je verschiedene Arbeitsschritte als zentral für das Produkt angesehen werden. Der Ausdruck officia oratoris erscheint erst spät (Sulpicius Victor, Fortunatianus im 4. Jh.), denn der Begriff des officium fand im rhetorischen System mehrfach Verwendung (–> Wirkungsmodi).

Übersicht zu dem Redeabsicht und Wirkungsmodi auf der Grundlage der antiken Autoren.

Thomas Schirren, Produktionsstadien der Rede (Inventio, Dispositio, Elocutio, Memoria, Actio), in: U. Fix, Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 31.1), Berlin / New York, 2008, 620–630.

Iudicium

Der griechische Begriff krísis, lateinisch iudicium stellt einen Grundbegriff der Rhetorik dar und wird, seit dem Aufklärer Immanuel Kant, in erster Linie mit dem deutschen Wort „Urteilskraft“ übersetzt. Darunter versteh man ein praktisches Einschätzungsvermögen hinsichtlich der angemessenen Auswahl und dem adäquaten Einsatz verschiedener Überzeugungsmittel. Ziel ist es, in einer konkreten Situation möglichst überzeugend zu agieren. Der Rhetor muss, um dies zu erreichen, auf die Empfänglichkeit beziehungsweise auf die bestimmte geistige Grunddisposition des jeweiligen Publikums Rücksicht nehmen. Das Erlernen allgemeiner Regeln ist aus diesem Grund nicht möglich, stattdessen die Fertigkeit nur durch wiederholtes Üben erlangt werden. Somit kann iudicium auch als „Aspekt der praktischen Klugheit“ gelten.[1] Ein Gedanke, der in diesem Zusammenhang vor allem im antiken Griechenland eine Rolle spielt, ist der des agon. Im rhetorischen Kontext bedeutet dies konkret, dass sich ein Redner gegen seinen Kontrahenten sprachlich durchsetzen kann. Der Wettbewerbsgedanke spielt demnach für das Einschätzungsvermögen eine bedeutende Rolle.[2]
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Produktionsstadien

inventio

Das griechische Wort heuresis, lateinisch inventio oder deutsch Auffindung/Erfindung findet seinen Ursprung in der Antike und stand für das Finden von Stoffen in allen Teilen der Rede, als erstes der fünf Produktionsstadien der Rede. Heute wird der Begriff mit dem Eruieren evidenter Argumentationen gleichgesetzt. Diese Auffindung wahrer oder zumindest schlüssiger und wahrscheinlicher Beweisführungen bildet den ersten Teil der Aufgabenbereiche eines Redners. Es besteht eine enge Verbindung zum iudicium, da durch geeignete Suchformeln eine Vielzahl plausibler Argumente gefunden werden kann, aus der es gilt die inhaltlich signifikanten zu ermitteln. Ein System dieser Suchformeln, auch topoi oder loci genannt,  findet sich zum ersten Mal bei Aristoteles in seiner Topik und Rhetorik. Es wurde später von den Römern übernommen und weiterentwickelt. Eine weitere mögliche Strategie stellt die Statuslehre des Hermagoras von Temnos dar. Hier können durch die Imagination und Klassifikation gewisser Streitfälle vor Gericht denkbare Begründungen ausgemacht werden. Kombiniert man die beiden Methoden, so werden für jeden Staus mittels Loci die adäquaten Argumente gefunden.
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