Epiphrase

(griech. epi= nach, phrazo= deutlich machen, kundtun, sagen. dt. Nachtrag)

An eine anscheinend schon abgeschlossene Aussage wird unvermutet noch ein Satzteil oder eine Wortgruppe angehängt. Dadurch wird das, was nachgetragen wird, besonders hervorgehoben. Ein Beispiel aus der journalistischen Textform „Glosse“:

„In der Filiale in Garmisch sehen die Kunden schon rot. Die von der Hypo-Vereinsbank. Rot statt blau.“ („Wenn Banken rot werden“. Süddeutsche Zeitung 11.4.08. S. 30)

Aus einer geschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff geht hervor, dass die Epiphrase in der Antike in rhetorischen Lehrschriften fehlt. Sie ist auch nicht in der Herennium-Rhetorik zu finden. Das Wort an sich stammt zwar aus dem Griechischen, in der Praxis finden wir diese Wortfigur schon bei Homer, aber eine theoretische Auseinandersetzung mit ihr ist ausgeblieben. Erst der spätantike Autor Phoibammon (5. /6. Jh. n. Chr.) erwähnt sie in seiner Figurenlehre und definiert sie als Nachtragsform. (vgl. HWRh Bd.2, Sp.1296) Im 20. Jahrhundert übernimmt Heinrich Lausberg die Epiphrase als eine „figura per adiectionem“ (Hinzufügung) (Lausberg, §§ 462 und 1246).

Das auffälligste Merkmal der Epiphrase ist, dass sie immer den zweiten Teil (den nachgetragenen Teil) der Aussage bildet und gleichzeitig auch das Satzende. Es handelt sich um eine Figur, die es – um es bildlich auszudrücken – auf den Punkt bringt. Während man bei den Tropen (z.B der Metapher) regelrechte Gedankensprünge vollbringen muss, um die Figur zu begreifen, bleibt die Epiphrase auf der Ebene der Syntax. Sie ist demnach zu den Wortfiguren zu zählen.

Die Epiphrase ist ein speziell rhetorischer Begriff. Sie zu definieren, bereitet keine besonderen Probleme, weil der Begriff nicht so komplex ist wie im Falle anderer Figuren. Allerdings gibt es innerhalb der rhetorischen Theorie Unklarheiten darüber, ob der Satz, an den die Epiphrase angehängt wird, syntaktisch abgeschlossen sein muss oder nicht. Das HWRh ist am genauesten und geht davon aus, dass die Epiphrase an eine scheinbar abgeschlossene Periode angehängt wird.

Die Epiphrase kann als Inversion (Umstellung im Satzbau?) und als Amplifikation (Hinzufügung) auftauchen. Ein Beispiel zur Inversion:

„Das haben sie sich ausgedacht in der Marketing- Abteilung in München. Oder in Mailand.“
(Süddeutsche Zeitung, am 11.04.2008, S. 30)

Ohne Inversion müsste der Satz ungefähr so lauten: Das haben sie sich in der Marketing- Abteilung in München oder in Mailand ausgedacht. Durch die Epiphrase wird das Wort „Mailand“ besonders hervorgehoben.

Im Falle der Amplifikation (Hinzufügung) wird der Nachtrag bloß angehängt, die Satzstruktur wird dabei nicht umgestellt:

„Ein neuer Ton, ein neues Kapitel scheinen begonnen in seinem Werk. Vom Büchner- Preis begrüßt.“
(Der Standard, am 18.06.2008, S.39)

Es besteht eine enge Verwandtschaft zu anderen Wortfiguren: beispielsweise zur ?Ellipse (Auslassung), zum Hyperbaton, oder zur Parenthese. Im Unterschied zum Hyperbaton trennt die Epiphrase keine an sich zusammengehörigen Wörter. Die Parenthese ist zwar auch eine Wortfigur, aber sie ist ausschließlich innerhalb von Klammern zu finden. Sehr oft stößt man auf die Epiphrase in Kombination mit der ?Klimax (Steigerung):

„Und weil das so ist, müssen wir eben so weitermachen, bis zum Gehtnichtmehr, bis zur Erschöpfung, bis zur Pleite.“
(Hans Magnus Enzensberger. „Zickzack“ S. 134)

Was die Wirksamkeit der Epiphrase betrifft, muss ganz klar zwischen der geschriebenen und der ausgesprochenen unterschieden werden. Beim Lesen kann sie leicht übersehen werden; in der Rede jedoch ist ihre Wirkung umso größer. Die Stimme des Vortragenden geht „hinunter“, um dann unvermutet wieder anzusteigen: dadurch werden ganz klar Akzente gesetzt. Aber Achtung: die Epiphrase kann verwirren und das Lesen und Zuhören erschweren. Dem ist in erster Linie so, wenn es um die Inversionsfigur geht. Sie kann sehr viel Unruhe vermitteln. Und Unordnung.

Franziska Guggenbichler-Beck

Literatur:

L. Gondos: Epiphrasis in: HWRh Bd.2. Tübingen1994. Sp. 1296-97.

H. Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlage der Literaturwissenschaft. München 19732.